Zebra im Interview

Zebra im Interview

Tobias Abendroth: Vielen Dank, Ken und Iain, dass ihr heute bei uns seid. Im Bereich des Barcode-Scannens tut sich gerade eine Menge und der Digital Link von GS1 ist ein Thema, das bisher unterschätzt wurde. Was genau ist GS1 und welches Ziel verfolgt ihr mit dem Digital Link?

Iain Walker: Danke für die Einladung. GS1 ist eine weltweite, gemeinnützige und neutrale Standardisierungsorganisation und wurde vor über 50 Jahren von der Industrie für die Industrie gegründet. Trotzdem haben viele Menschen noch nie von uns gehört. Das ist wohl Berufsrisiko. *lacht* Sobald die Leute uns jedoch kennenlernen, verbinden sie uns mit dem unscheinbaren Barcode, der sich auf so vielen Produkten befindet, die sie täglich kaufen und dem sie normalerweise kaum Beachtung schenken.

Wir verwenden seit Jahren Standardmethoden wie GTINs oder EDI, um eine einheitliche Produktidentifikation und einen reibungslosen Informationsaustausch zu gewährleisten, unabhängig von der Unternehmensgröße und dem Verkaufskanal. Auch im Gesundheitswesen nutzen wir Barcodes zur genauen Identifizierung von Patienten, Medikamenten und Standorten. Mit der Einführung des Digital Link werden herkömmliche Barcodes in webfähige URLs umgewandelt, sodass sich Informationen digital abrufen lassen. Das ist wichtig, da Barcodes häufiger gescannt werden: Sie werden sogar öfter gescannt als Google-Suchen durchgeführt! Durch den Einsatz der Digital-Link-Technologie erhalten Verbraucher sofort Zugriff auf detaillierte Produktinformationen wie Allergeninhalte, während Unternehmen umfassende Daten über ihre Produkte sammeln.

Tobias Abendroth: Wie genau kam es dazu? Wann hat GS1 entschieden: Wir brauchen den Digital Link!

Iain Walker: Mit dem Aufstieg der Smartphones hat sich das Verbraucherverhalten stark verändert und die Corona-Pandemie hat die Nutzung von QR-Codes, zum Beispiel in Restaurants, weiter beschleunigt. Verbraucher wollen jetzt wissen, woher ihre Produkte kommen und was darin enthalten ist. Diese steigende Nachfrage spiegelt sich in globalen Vorschriften wie den FSMA-Regeln in den USA und dem Green Deal der EU wider, die mehr Transparenz und Nachhaltigkeit fordern. Produkte müssen in jeder Phase der Lieferkette identifizierbar sein, auch nach dem Verkauf. Um diesem globalen Bedarf an branchenweiten Lösungen und dem wachsenden Informationsbedarf gerecht zu werden, fördern wir standardbasierte Methoden zur Produktidentifikation. Natürlich sind sowohl der QR-Code als auch das Internet nicht neu. Neu ist jedoch die Neu ist jedoch die Integration der GS1-Standards in das Internet – mit QR-Codes von GS1 als Zugangstor. Diese Verbindung ermöglicht die standardisierte, digitale Übertragung von Produktinformationen auf einfache und skalierbare Weise.

Tobias Abendroth: Klingt so, als wäre der Digital Link der letzte Baustein, um die Lücke zwischen der Offline- (Artikel im Ladenregal) und Online-Erfahrung (Welt der digitalen Informationen)  zu schließen, oder?

Iain Walker: Ganz genau, der Digital Link wandelt Barcodes im Wesentlichen in standardisierte URLs um. Die Punkte im 2D-Barcode sind eine einfache Darstellung der codierten Daten. Entscheidend sind die dahinterstehenden eindeutigen Zahlen. Diese Identifikatoren werden in strukturierte URLs umgewandelt, damit Maschinen und Menschen sie einheitlich nutzen können. Das Schema ermöglicht es, bestimmte Produktattribute zu identifizieren, sei es das Produkt selbst, die Charge oder sogar das Herkunftsland. Der Digital Link wandelt somit eine eindeutige Offline-Identifikation in eine weltweit standardisierte, universell einzigartige URL um. Dadurch werden Duplikate vermieden und sichergestellt, dass Produktinformationen auf allen digitalen Plattformen einheitlich und zuverlässig zugänglich sind.

Tobias Abendroth: Ken, glaubst du, dass der Digital Link Zebra auf kurze und lange Sicht Vorteile bringt?

Ja, denn meiner Meinung nach markiert der Digital Link den Übergang von traditionellen 1D-UPCA- oder EAN-Barcodes mit begrenzter Datenmenge zu 2D-Barcodes. Der 2D-Barcode lässt sich sowohl im Einzelhandel am Point of Sale (POS) als auch in der Fertigung und Logistik einsetzen, da er die gleichen wichtigen Informationen wie Chargen-, Los- und Seriennummern enthält. Auch im Gesundheitswesen wird er sich mit der Zeit wahrscheinlich durchsetzen.

Vor fünf Jahren kam GS1 zu mir und sprach über den Digital Link. Damals war ich skeptisch und dachte, der UPC-Barcode würde nie verschwinden. Ein paar Jahre später kamen sie wieder und brachten Mobiltelefone ins Spiel. Sie erklärten, dass Verbraucher diesen Trend vorantreiben, weil sie mehr Informationen über Produkte wollen. Einige Kaffeeliebhaber sind zum Beispiel auf der Suche nach der perfekten Tasse Kaffee und bereit, mehr Geld auszugeben, möchten dafür aber auch alles über ihren Kaffee und dessen Herkunft wissen. Was, wenn sie den Barcode scannen und direkt zur Unternehmenswebsite gelangen, wo sie all diese Informationen finden? Dann fühlt sich der Premiumpreis gar nicht mehr wie Premium an, sondern so, als würden sie genau das bekommen, was sie wollen. Als GS1 mir das erklärte, verstand ich das Potential und wurde zum Befürworter.

Tobias Abendroth: Das klingt so, als ob die Verbraucher durch die transparenten Daten auch eine engere Verbindung zum Unternehmen bekommen, oder?

Ken Bhella: Ja, es dreht sich alles um den Kunden. Stell dir vor, jemand schaut sich Rasierer von Gillette an. Er scannt den Barcode mit dem QR-Lesegerät seines Mobiltelefons, landet auf der Gillette-Website und bekommt alle Infos, die er braucht. Alternativ könnte jeder Einzelhändler – denk einfach an das Geschäft, in dem du wöchentlich einkaufen gehst – seine App so modifizieren, dass sie den Digital Link scannt und die Daten in die App umleitet. So könnten die Informationen direkt in der App bereitgestellt werden, ohne dass die Website von Gillette aufgerufen werden muss.

Tobias Abendroth: Nun haben wir mehrere Anwendungsfälle gehört. Iain, gibt es eine bestimmte Branche, in der der Digital Link besonders häufig genutzt wird?

Iain Walker: Der Wandel findet aktuell weltweit statt. Ein Beispiel dafür ist Tesco im Vereinigten Königreich. Das Unternehmen testet derzeit die Umstellung von linearen Barcodes auf QR-Codes, die von GS1 bereitgestellt werden. Dieser Wechsel hat zwei wesentliche Vorteile: Erstens speichert der QR-Code mehr Daten offline, sodass direkt am Produkt detailliertere Informationen verfügbar sind. Zweitens ermöglicht die Integration von URLs den Zugriff auf Online-Ressourcen und zusätzliche Datenquellen. Eine bessere Sichtbarkeit von Produktinformationen, beispielsweise durch Chargeninformationen, ermöglicht eine Reduzierung von Abfall bei frischen Lebensmitteln.

Ken Bhella: Guter Ansatz, der Gedankengang lässt sich sogar weiter vertiefen. Ein Lebensmittelgeschäft könnte seine Kunden dazu motivieren, Produkte mit nahendem Verfallsdatum zu kaufen, indem es ihnen 10 % Rabatt gewährt. Der Barcode, der sowohl die Artikelnummer als auch das Verfallsdatum enthält, wird an der Kasse gescannt und der Rabatt automatisch abgezogen. So werden die im Barcode enthaltenen Informationen genutzt, um Abläufe zu optimieren und Anreize für die Kunden zu schaffen.

Iain Walker: Ja, und Marken wie Unilever zeigen in Zusammenarbeit mit dem Royal National Institute for the Blind (RNIB), wie sich mithilfe dieser Technologie Barrieren abbauen lassen. Der AQR (Accessible QR) ist besonders wertvoll für blinde, sehbehinderte und ältere Menschen. Durch das Scannen des Codes können sie den Text vergrößern oder sich vorlesen lassen. So erhalten sie leichter Zugang zu wichtigen Informationen wie Allergenen und anderen Produktdetails. Die Chance besteht darin, diese digitalen Inhalte mithilfe von Standards für alle zugänglich zu machen: Mit dem Digital Link haben wir einen vielversprechenden Anfang gemacht.

Tobias Abendroth: Ist Zebra technologisch bereit, diesen Wandel zu unterstützen?

Ken Bhella: Natürlich! Unsere Premium-Scanner, wie der bioptische Scanner MP7000 und die DS8100 Serie, unterstützen den Digital Link bereits. Im Laufe des Jahres 2025 werden wir im Rahmen eines Firmware-Updates weitere Produkte mit Digital-Link-Unterstützung ausstatten, darunter die Produktreihen DS4600 und DS2200. Unser Ziel ist es, die Einführung von Digital Link zu vereinfachen, um den vollen Nutzen aus diesen GS1-Standards auszuschöpfen. Für bereits gekaufte Produkte müssen Anwender lediglich das kostenlose Firmware-Update installieren, das in unserem 123Scan-Konfigurationsprogramm verfügbar ist. 123Scan vereinfacht mit seinem patentierten Assistenten und seiner Drag-and-Drop-Oberfläche auch die Konfiguration des Digital-Link-Ausgangs.

Tobias Abendroth: Das werde ich. Aber vorher würde mich noch interessieren, welche zukünftigen Technologien ihr im Einzelhandel und bei sozialen Anwendungen erwartet? Wie weit ist diese Zukunft entfernt?

Iain Walker: Die Einführung vom Digital Link an Verkaufsstellen ist ein Prozess, der sorgfältige Planung und Zeit erfordert. Ich bin optimistisch, was das Tempo des Übergangs angeht, aber es ist schwierig, ein genaues Datum festzulegen. Unsere oberste Priorität ist es, sicherzustellen, dass QR-Codes überall gescannt werden können – egal ob im kleinen Tante-Emma-Laden oder im großen Supermarkt. Dafür brauchen wir einen branchenweiten Ansatz, den wir aktiv vorantreiben. Wir arbeiten mit einer Reihe von Organisationen zusammen, um technologische Hürden zu überwinden und diese Veränderung in ihre Datenstrategien zu integrieren. Unser Ziel ist es, bis 2027 sicherzustellen, dass QR-Codes bei allen großen Einzelhändlern problemlos lesbar sind.

Ken Bhella: Da hat Iain Recht. Die Zukunft des Einzelhandels ist der Digital Link. Viele große Händler sind bereits dabei, ihre Systeme für die kommenden Jahre fit zu machen. Deshalb bieten wir Updates für die Software von Scannern, mobilen Geräten und Druckern an, die mit dem Digital Link arbeiten. Auch wenn die vollständige Umsetzung noch etwas dauert, ist es wichtig, jetzt die Weichen zu stellen, um Kunden später den vollen Nutzen zu bieten.

Ein gutes Beispiel für die Leistungsfähigkeit und Vielseitigkeit des Digital Link ist seine Verwendung für den sogenannten digitalen Produktpass, ein GS1-Standard, der die Einhaltung der EU-Vorgaben für nachhaltige Produkte unterstützt und für mehr Transparenz bezüglich der Inhaltsstoffe eines Produkts sorgt. Das ist besonders für große Händler wichtig, die sicherstellen müssen, dass Produkte wie HD-Fernseher umweltfreundlich entsorgt werden.

Iain Walker: Absolut, der digitale Produktpass ist ein Paradebeispiel dafür, wie Daten immer mehr in unseren Alltag integriert werden. In einer Welt, die immer komplexer wird und in der der Informationsbedarf stetig wächst, sind Zusammenarbeit und Standards in der Branche entscheidend für vertrauenswürdige Daten: Digital Link ist ein Generationswechsel und eine Chance.

Tobias Abendroth: Da sieht man mal, dass auch kleine Dinge einen großen Unterschied machen können. Vielen Dank euch beiden für die spannenden Einblicke in das Thema!